Jugendkollekte – ein alter Zopf oder aktueller denn je?
Die Jugendkollekte hat eine Geschichte, die bis ins Jahr 1977 zurückreicht. Der zentrale Zweck ist über die Jahrzehnte derselbe geblieben: Junge Menschen sollen Kirche erfahren können, die ihrem Stil entspricht. Dazu sollen Vorhaben für junge Menschen finanziell unterstützt werden und besser noch – Projekte von jungen Menschen. Was sich verändert hat ist die religiöse bzw. konfessionelle Landschaft in der Deutschschweiz und mit ihr der Bezug zu jungen Menschen.
Von Viktor Diethelm, Präsident Verwaltungskommission 2017 bis 2023
Leiter der Deutschschweizer Fachstelle für offene kirchliche Jugendarbeit
Von der Ranfttreffen Finanzierung zur Jugendkollekte der Deutschschweizer Ordinarienkonferenz
1977 initiierte die «Schweizerische katholische Jugendbewegung» das Ranfttreffen, das später von der «Jungen Gemeinde» bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1996 weitergeführt und seit dann von «Jungwacht Blauring Schweiz» organisiert wird. Zur Finanzierung des Ranfttreffens wurde ein Kollektenaufruf in allen deutschsprachigen Pfarreien gemacht. 1988 entschied die Deutschschweizer Ordinarienkonferenz (DOK) aufgrund des Bedarfs weiterer Finanzierungen von auf Jugend ausgerichteten Vorhaben, die Jugendkollekte zu gründen. Dabei wurde die Ranfttreffen Kollekte in die neu gegründete Jugendkollekte integriert. Somit war stets ein Teil der Einnahmen der Jugendkollekte zur Finanzierung des Ranfttreffens und der Rest für weitere Vorhaben für oder von jungen Menschen vorgesehen. Die Höhe des Beitrags zugunsten des Ranfttreffens wurde in den vergangenen Jahren gesenkt, der Anteil am Jahresbetrag, den die Verwaltungskommission sprach, hielt sich jedoch ungefähr gleich. Grund dafür waren sinkende Einnahmen der Jugendkollekte.
Verwaltungskommission zusammengesetzt aus der OKJV
Die «Ordinarienkonferenz der Jugendvereinigungen» (OKJV) ist von der DOK beauftragt, die Verwaltungskommission personell zu bestücken und die Gesuchsvergaben zu verantworten. Die Übergabe der Verantwortung ist bemerkenswert: Die durch Kollekten erhaltenen Gelder werden von Personen verteilt, die eine (berufliche) Nähe zu jungen Menschen haben oder selbst junge Erwachsene sind. Die Vertretung der DOK hat dasselbe Stimmrecht wie die anderen Mitglieder der Verwaltungskommission.
Die Bevorzugung der Jugendverbände/-organisationen, die der OKJV angehören, ist ein gewichtiges Merkmal der Vergabekriterien. Die bekannten Partner:innen gewährleisten eine Sicherheit, dass die gesprochenen Gelder auch zweckorientiert eingesetzt werden. Zudem bringt das Know-How dieser Gruppen auch eine Garantie betreffend Qualität der Organisation und Durchführung mit sich.
Schwerer haben es da Initiativen junger Menschen oder eine Gruppe, die ein Projekt realisieren will, wenn sie nicht der OKJV zugehörig sind. Gerade letztere haben in den vergangenen Jahren zugenommen.
Die (katholische) Jugend von gestern…
Wer sich früher – orientiert am konzentrischen Pfarreimodell – als distanzierter junger Mensch bezeichnet hat, würde in den heutigen Religionssoziologischen Studien wohl als «institutioneller Typ» (Kirchennah) gewertet werden. Die Zahl der sogenannten «Distanzierten» und «Säkularen» nimmt gerade bei jungen Menschen stetig zu.
Innovationen eines kirchlichen Stils für Jugendliche (z. B. eine Band im Gottesdienst oder eine Erlebnisnacht mit Kirche) hatten (vor-)gestern eine Jugend als Zielgruppe, die katholisch sozialisiert war und schon kleinere Veränderungen des Bekannten mit Begeisterung aufnahm. Grossveranstaltungen und überregionale Treffen waren beliebt und zogen Massen an. Die konfessionelle Homogenität der Teilnehmenden war hoch und auf einer gemeinsamen Religionskultur konnte auf Selbstverständlichkeiten aufgebaut oder neue Spielarten angewendet werden.
Die Jugend von gestern gibt es heute noch, sie ist einfach kleiner in der Anzahl geworden. Und sie ist keineswegs von gestern im Sinne von «in der Zeit hängen geblieben»! «Gestern» meint vielmehr den Bezug und die Vorliebe zu einem kirchlichen Stil, der sich an traditionellen Formaten orientiert. Dabei haben junge Menschen viele Innovationen in die traditionellen Formen eingebracht und kreieren einen Stil, der eine Ästhetik und Atmosphäre für junge Menschen von heute bietet. Die Jugend gab und gibt es eh nicht. Jugendliche waren schon immer vielfältig und mit der wachsenden Pluralität unserer Gesellschaft hat auch die Vielfalt unter jungen Menschen zugenommen. Der kleinere Anteil der jungen Menschen, die einen an der Tradition orientierten Kirchenstil bevorzugt, ist folglich das Ergebnis der gestiegenen Mannigfaltigkeit junger Menschen – und kein Misserfolg.
…und die Jugend von heute
Die Konsequenz aus der kaum zu überschaubaren Vielfalt junger Menschen von heute fordert von der kath. Kirche eine Vielzahl kirchlicher Stile. Dabei ist der Denkfehler zu vermeiden, dass diese Vielfalt eine Einheit benötigt. Vielmehr ist die Einheit abhängig von der Vielfalt, um in der pluralen Gesellschaft relevant zu sein. Soll der zentrale Auftrag der Kirche das Evangelium sein, so bedarf es unterschiedlicher Stile der Verkündigung, die sich an den Lebenswelten junger Menschen orientieren. Bei der (Weiter-)Entwicklung dieser kirchlichen Stile ist weiterhin auf die etablierten Akteure der OKJV zu setzen, jedoch bedarf es gleichzeitig Anstrengung und Bereitschaft, jungen Menschen Unterstützung zu bieten, die nicht Teil der etablierten Jugendverbänden/-organisationen sind. Gerade weil diese innovative Stile kreieren, die mit der binnenkirchlichen Brille nicht einem bekannten Stil zugeordnet werden können, sind sie von hohem Wert. Sie tragen dazu bei, dass Kirche ihr Zentrum – das Evangelium – in eine Weite zu verbreiten vermag.
Grosse Aufgaben für die Jugendkollekte
Der Nutzen der Jugendkollekte für die kath. Kirche der Deutschschweiz lässt sich schnell aufzeigen. Der Mix aus nächtlichem Erlebnis, Gemeinschaft und Besinnung des Ranfttreffens wurde in verschiedene Aktivitäten der Kirche aufgenommen. Farbig ausgeleuchtete Kirchenräume und mit digitaler Technik ausgestattete Gottesdienste, wie sie bei den Weltjugendtreffen oder Adorayfestivals zu finden sind, wurden schon vor Corona von Erwachsenen adaptiert. Lieder, die für kirchliche Jugendtreffen u. ä. komponiert wurden, sowie die Lieder und Gebete aus Taizè sind in sonntäglichen Gottesdiensten und Besinnungsfeiern zu hören. Digitale Adventskalender, zentral organisierte Solidaritätsaktionen oder Projekte zugunsten der Umwelt sind heute Generationenübergreifend etabliert. Viele Stilformen, die wir heute in der kath. Kirche vorfinden, haben ihren Ursprung in der Jugend. Und nicht wenige Male hat die Unterstützung durch die Jugendkollekte einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Manches ist bereits so beständig und verbreitet, dass sich die Frage stellen lässt: Warum müssen die jungen Menschen der Kirche auf die Jugendkollekte zugreifen, obschon sie bereits seit Jahren, ja Jahrzehnten regelmässig wertvolle Beiträge für die Kirche organisieren?
Seit Kollekten zugunsten der Jugend eingezogen wurden, macht dies auf eines aufmerksam: Junge Menschen sprengen die territorial definierten Versorgungsstrukturen der Kirche. Kirche ereignet sich dort, wo Menschen zusammenkommen – unabhängig der territorialen Zugehörigkeit. Und dies ist die Herausforderung der jungen Menschen (und in der Zwischenzeit wohl auch vieler Erwachsener), die Kirche (auch) in den Zwischenräumen der territorialen Kirchenstrukturen ausleben. Die Mannigfaltigkeit der jungen Menschen wirkt dabei als Beschleuniger dieser Tendenz. Denn junge Menschen treffen und organisieren sich aufgrund eines gemeinsamen Interessens, einer gemeinsam getragenen Idee oder einer gemeinsamen Betroffenheit. Distanzen sind aufgrund der Mobilität und Digitalität immer weniger ein Hindernis. Die existierenden Möglichkeiten der jungen Menschen machen sie immer unabhängiger von Wohnorten und führen sie in vielfältige Lebensorte, wo sie Gleichgesinnte treffen.
Junge Menschen wollen keine Almosen
Die Gesuche geben Zeugnis vom Ideenreichtum und der Innovationskraft junger Menschen. Die Jugendkollekte ist keine Almosenkasse für junge Menschen, sondern ihre Ansprechpartnerin für Investitionen der Kirche. Junge Menschen möchten, dass Kirche in sie und ihre Ideen investiert und damit eine Teilhabe an der Kirche ermöglicht, indem sie die Teilgabe der jungen Menschen an der Kirche annimmt.
Die Jugendkollekte finanziert dabei immer mit, d. h. junge Menschen müssen für die Realisierung ihrer Vorhaben weitere Finanzquellen suchen. Dies ist sehr wichtig für den erforderlichen Grad an Unabhängigkeit sowie für das Empowerment der jungen Menschen selbst. Die Mitfinanzierung durch die Jugendkollekte bildet daher eine wichtige Motivation für das Engagement in der Kirche und die Aufgabe, weitere finanzielle Mittel zu beschaffen.
Jugendkollekte muss sich mit den jungen Menschen weiterentwickeln
Gerade mit Blick auf die weiter und neu zu entwickelnden Stile der Kirche sind die sinkenden Einnahmen der Jugendkollekte problematisch. Die wiederkehrenden Gesuche der OKJV Mitglieder lassen kaum Spielraum für die Unterstützung von Gesuchen von Gruppen, welche nicht der OKJV angehören. Dadurch verkleinert sich auch das Spektrum an sich neu entwickelnden Stilen von Kirche. Diese sind jedoch von hoher Bedeutung, will die kath. Kirche Berührungspunkte mit der immer grösser werdenden Anzahl von jungen Menschen schaffen, die sich nicht (mehr) von den bestehenden kirchlichen Stilen angesprochen fühlen.
Die Jugendkollekte, mit ihrem zentralen Zweck der jugendgerechten kirchlichen Stilen, ist also aktueller denn je. Gegen die allgemein sinkenden Kollekteneinnahmen gilt es alternative Einnahmen für die Jugendkollekte zu generieren. Dazu benötigt es einen um vieles höheren Aufwand, als dass die Verwaltungskommission zu leisten vermag. Die DOK und RKZ sowie weitere kirchliche Verantwortungsträger:innen sind dazu aufgerufen, zusammen mit jungen Menschen und der Verwaltungskommission die Jugendkollekte weiterzuentwickeln. Letztlich profitiert auch aus dieser Weiterentwicklung der Jugendkollekte die kath. Kirche der Deutschschweiz, da die aktuellen Umbrüche in der Kirche neue Finanzierungsmöglichkeiten suchen, um den kirchlichen Auftrag leisten zu können.